Page 30 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, Dezember-Ausgabe 2024
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FÜR SIE GELESEN



           Ich denk, ich denk zu viel                           In den meistens kurzen Essays befasst sich Kunz auch mit
                                                                z.T.  „unangenehmen“  Themen,  wie  z.B.  Leistungsdruck,
                           Nina Kunz
                                                                  Workism, Weltschmerz, Tattoos, glühende Smartphones,
                           Taschenbuch, gebunden,               schmelzende Polkappen, Patriarchat.
                           190 Seiten                           Sie schwärmt aber auch für die Universität, zitiert oft Sartre,
                           Kein & Aber AG Zürich-Berlin 2021/2024
                                                                Camus oder mal Falco, sorgt sich um TikTok-süchtige Teen-
                           ISBN: 978-3-0369-6184-2; 13 €        ager und Kylie Jenner.
                                                                Natürlich schreibt sie über ihren Arbeitswahn und über das
                                                                fatale Frauenbild der Bravo Girl.
                                                                Zehn wichtige feministische Bücher werden von ihr noch
                                                                  rezensiert – und dann fährt sie ins Wallis ohne Handy.
           Wie passend kann ein Buchtitel auf einen Menschen zutref-  Manchmal  erzählt  sie  von  ihrer  ganz  eigenen  Stimme,  die
           fen? Ich selbst denke nicht nur, sondern „zerdenke“ viel zu   vielleicht etwas mit der Schweiz zu tun hat, sie spricht von
           viel, grübele und verwerfe Ideen und Möglichkeiten.  ihrem  „Chrüsimüsi“-Dialekt, in dem sich alles nicht so ge-
           Was sollen diese ewigen Gedankenschleifen?           wichtig anhört wie im Hochdeutschen.
                                                                Nebenbei tanzt sie durch das Buch ihren eigenen Lebens-
           Nina Kunz (Jahrgang 1993) hat sich in ihrem Buch mit dem   lauf,  damit  der  Leser  ein  besseres  Verständnis  davon  be-
           schönen Titel „Ich denk, ich denk zu viel“ tagebuchartig of-  kommt,  wie  wir  ihre  Gedanken  einzuordnen  haben.  Diese
           fenbart und ihre persönliche Sicht auf die Welt und auf sich   Familienspuren gewähren überraschende Einblicke.
           selbst niedergeschrieben.
           Kunz arbeitet seit 2017 als Kolumnistin und Journalistin, ihre   Das kurzweilige Buch berichtet über Ängste, Sehnsüchte und
           Texte erscheinen u.a. in der Neuen Zürcher Zeitung, der ZEIT   kulturelle Phänomene in einer Gesellschaft zwischen privile-
           und dem ZEITmagazin; seit 2024 ist die charmante Frau zu-  gierter Wohlstandssituation und Existenzkrise.
           dem Kritikerin im SRF-Literaturclub.                 Durch zahlreiche Thesen, Zitate und Meinungen berühmter
                                                                Autoren wird der gegenwärtige Zeitgeist – oft Ungerechtig-
           Präzise, intelligent und z.T. humorvoll schreibt die Schweize-  keit und fragwürdige Machtverhältnisse – erfasst.
           rin über das Unbehagen der Gegenwart und geht der Frage   Der Text ist stilvoll geschrieben, manchmal hadert sie, wägt
           nach, warum sich ihr Leben, trotz aller Privilegien, oft so be-  ab und reflektiert.
           klemmend anfühlt.                                    Die Autorin ist eine sehr belesene Persönlichkeit, die über
           Es  sind  Texte  einer  jungen, sensiblen  Frau,  die  manchmal   alles gründlich nachgedacht hat.
           vielleicht wirklich zu viel denkt, sich also Gedanken macht
           über Dinge (u.a. Luxusprobleme), die problematischer er-  Ich  empfehle  das  Buch  Leserinnen  und  Lesern,  die  gerne
           scheinen, als sie sind; oder sind das Phänomene unserer Zeit     Alltägliches hinterfragen, aber auch für solche, die gerade
           und das Grundgefühl einer bestimmten Generation?     nicht unter diesen Symptomen leiden.
           Zumindest bekommt man als Leser das Gefühl, mit seinem   Denn: Denken allein genügt nicht, man muss auch tun.
           eigenen Weltschmerz nicht mehr allein zu sein.       Wer sich vom Titel dieses Taschenbuches angesprochen
                                                                fühlt, sollte es lesen.
           Die 30 Beiträge, die z.T. bereits in anderen Medien erschie-
           nen sind, werden in drei Abschnitte unterteilt, die dem Leser                      Prof. H.H. Büttner, Wismar
           auf  den  ersten  Blick  vermitteln,  auf  welchen  Grundton  er
           sich bei der Lektüre einzustellen hat: Sinnkrisen, Selbstzwei-
           fel und Sehnsüchte. Zwischen diesen drei Polen bewegt sich
           das gesamte Spannungsfeld.











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                                                                                     Ä
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