Page 43 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, November-Ausgabe 2025
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FÜR SIE GELESEN
Schreiben am Meer Das Element Meer wird sehr facettenreich geschildert, man
denke an die scheinbare Unendlichkeit, den offenen Himmel
Wo der Himmel größer ist mit dem weiten Horizont, das Licht, das Wasser, die Luft, das
Kristine von Soden Salz, der Sand, die Dünen und natürlich die Möwen. Irgendwie
Gebunden, 158 Seiten, ist es auch immer ein Spiegel für die Seele und verleitet zum
zahlreiche Abbildungen, Philosophieren.
vorwiegend Landschafts- Während an Land die Zeit hetzt und sich ständig alles verän-
aufnahmen dert, ist das Meer da, wo es immer war. Doch ein Ort der Ewig-
TRANSIT Buchverlag GmbH, keit?
Berlin 2024 Mit feinem Gespür und Takt gelingt es der Autorin, die einzel-
nen Porträts in die jeweiligen Orte am Meer einzufügen und
ISBN: 978-3-88747412-6; 18 €
man erfährt, wie das Meer sich auf die Schöpferkraft kreativer
Geister ausgewirkt hat.
Einige Textbeispiele:
Die Tagebuchnotiz von Max Frisch, 1949 auf Sylt, lautet:
Wo befinden sich Nord- und Ostsee? „Endlich ein Arbeitszimmer, wie man es sich wünscht: groß und
Dort, wo der Wind die Schafe kämmt! licht, bequem auf eine nüchterne Art, zwei Fenster hinaus auf
Und: Man kann im Wandel der Jahreszeiten stundenlang an das Wattenmeer, Tische, wo man Papiere ausbreiten kann, Brie-
diesen Meeren wandern – zur einen Seite See und Küste, zur fe, Bücher, Muscheln und Seesterne, Ketten von trockenem
anderen die reizvolle Landschaft. Tang….“ (Einband/Rückseite)
Seelisch wünscht man sich nur zu fühlen, zu horchen, zu Heinrich Heine schildert, wie ihn die Nordseewellen, die „aller-
schauen, zu atmen. lei wunderliches Zeug“ murmeln, „allerlei Namen, die wie süße
Die Naturschauspiele an den Meeren waren schon immer Ahnung in der Seele widerklingen“, zu träumerisch-philosophi-
Inspirationsorte der schreibenden Zunft. schen Gedanken rühren: „Ich liebe das Meer wie meine See-
Kristine von Soden präsentiert Prominente aus der Welt der le....“ (S. 108)
Literatur und der Musik, die das Meer und besonders das Der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy schrieb vor mehr
Schreiben am Meer liebten. als 200 Jahren an seine Mutter: „…behaglich war es mir, als ich
Sie selbst ist promovierte Geisteswissenschaftlerin, gebürtige heute in die See hinein schwamm…; und doch steckte ich tief im
Hamburgerin und wohnt in ihrer Wahlheimat Schwerin; von Schottischen Meer, das sehr salzig schmeckt, Doberan ist Limo-
Frühling bis Herbst ist sie in Ahrenshoop mit literarischen nade dagegen.“ (S. 114)
Rundgängen unterwegs. So pflegt sie schon lange eine beson- Das Lesen dieses Buches war angenehm und hat mir gute Lau-
dere Beziehung zum Wasser als einem Element, das die Stim- ne verschafft.
mungslagen der Menschen beeinflusst und widerspiegelt. Man erinnert sich an eigene Erlebnisse, zumal wenn man als
Der schmale Band ist in 14 Kapiteln unterteilt. Darß-Virus-Infizierter sich jährlich seine Boosterungen abho-
Die Autorin trifft eine subjektive Auswahl bei den Persönlich- len muss („Mine Heimat: Wo de Ostseewellen trecken an den
keiten, die sie am Wasser versammelt; einige sollen genannt Strand…“, Martha Müller-Grählert, 1876-1939). Und das natür-
werden: Simone de Beauvoir, Bertolt Brecht, Theodor Fontane, lich auch bei Schietwetter, mit Schauerboen und einem Nord-
Max Frisch, Heinrich Heine, Elise Lasker – Schüler, Siegfried ost, der den Regen in den Nacken drückt, dafür aber später
Lenz, Thomas Mann und Familie, Felix Mendelssohn-Bartholdy, einen Grog rechtfertigt.
Jean-Paul Sartre, Peter Suhrkamp. Meine Empfehlung geht an eine Leserschaft, die das Meer und
Die besuchten Orte am Meer sind: die Halbinselkette Fisch- die Literatur lieben.
land-Darß-Zingst, Nidden auf der Kurischen Nehrung, Kolberg
an der Pommerschen Riviera, die dänischen Inseln Alsen und Prof. H. H. Büttner, Wismar
Fünen, Sylt, Norderney, die Hebrideninsel Staffa, Côte d’Azur,
Venedig und Halifax.
In den Text eingefügt sind stimmungsvolle Schwarz-Weiß-
Bilder von Landschaften, Personen und interessante Abdru-
cke von Manuskripten und Notenblättern.
AUSGABE 11/2025 35. JAHRGANG Seite 399

