Page 4 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, Oktober-Ausgabe 2025
P. 4

EDITORIAL



           Was ist ein guter Arzt?




           Was macht einen guten Arzt aus und wozu wollen wir ausbilden?   wir in Greifswald ein aufwändiges Interviewverfahren durch. Vor
           Ist es der empathische Kliniker, der mit viel „Herzblut“ in Klinik   dem Hintergrund unserer Ziele haben wir die Eingangskriterien
           und Praxis für seine Patienten da ist? Oder der präzise Diagnosti-  für eine Einladung zum Interview angepasst.
           ker, der mit seiner Expertise richtige Diagnosen und Therapieent-  Zukünftig gliedern sich die Kriterien in vier gleichberechtigte Be-
           scheidungen erst ermöglicht? Oder der Wissenschaftler, der durch   reiche, einer wurde neu aufgenommen:
           Forschung die Krankenversorgung von morgen verbessert?    Bereich 1 – Die Abiturnote: Wir werten Abiturnoten zwischen 1,0
           Der Arztberuf ist dankenswerterweise vielfältig und wir brauchen   und 1,5 gleich. Wir vermeiden dadurch, dass das Medizinstudium
           ihn alle. Aber nicht nur in Ballungsgebieten, sondern gerade hier   nur mit einer 1,0 möglich ist – und allen Bewerbenden mit sehr
           bei uns. Gemessen an der Einwohnerzahl stellt unser Bundes-  guten Abiturnoten signalisieren wir, dass sie beste Chancen haben.
           land mehr Studienplätze für Humanmedizin zur Verfügung, als es   Mit den drei weiteren Bereichen wollen wir denjenigen, die sich
           für die Versorgung rechnerisch bräuchte. Und dennoch bleiben   intensiv vorbereitet haben, signalisieren, dass sie ebenfalls will-
           Arztpraxen (nicht nur Hausarztpraxen!) und Stellen in den Kran-  kommen sind.
           kenhäusern unbesetzt.                                Bereich 2 – naturwissenschaftliche Vorerfahrung: Auch künf-
           Als Universitätsmedizin Greifswald (UMG) sehen wir uns in der   tig werden naturwissenschaftliche Vorkenntnisse bis zum Abitur
           Pflicht, nicht nur universitäre Spitzenmedizin für die Patientin-  und/oder  in einem Studiengang honoriert. Gleichzeitig wurde in
           nen und Patienten in unserem Bundesland zu bieten, sondern   diesem Bereich Chancengleichheit für Abiturienten aus M-V ge-
           auch dazu beizutragen, dass eine flächendeckende Versorgung   schaffen, die weniger Leistungsfächer belegen können.
           gelingt – mit gut ausgebildeten Ärzten, die mit Freude und Enga-  Bereich 3 – Berufspraktische Erfahrung und Soziales Engage-
           gement ihren Beruf ergreifen.                        ment:  Wie  bisher  auch  können  hierdurch  Vorauswahlpunkte
           Unsere Frage lautet daher nicht: Wozu wollen wir ausbilden? Son-  erzielt werden, die einer Verbesserung der Abiturnote von bis zu
           dern: Wen wollen wir ausbilden?                      0,5 Stufen entspricht (u. a. ehrenamtliches Engagement im Sport-
           ■  Studierende, die den hohen Anforderungen des Medizinstudi-  verein).
             ums gewachsen sind und es mit hoher Wahrscheinlichkeit   Neuer Bereich 4 – Orientierung im ärztlichen Beruf: Erstma-
             erfolgreich abschließen werden.                    lig bietet die UMG ein ärztliches Orientierungsprogramm an.
           ■  Persönlichkeiten, die Energie, Engagement und Begeisterung   Studieninteressierte können eine Hospitation in einem durch
             für den Arztberuf und Patienten mitbringen.        die UMG akkreditierten Krankenhaus für drei Monate absolvie-
           ■  Studierende, die sich bereits vor Studienbeginn mit dem All-  ren (ein Monat im ambulanten Bereich oder in der Forschung)
             tag des Arztberufs auseinandergesetzt haben, so dass sie   und dadurch Vorauswahlpunkte generieren, die einer Verbesse-
             nicht durch die Realität des Arbeitsalltages (24/7 Betrieb eines   rung der Abiturnote von 0,2 Stufen entspricht. Anschließend
             Krankenhauses, Diensttätigkeit, Selbstständigkeit) nach dem   können weitere drei Monate Vertiefungspraktikum absolviert
             Studium überrascht werden.                         werden (weitere 0,2 Stufen). Sowohl Hospitation als auch Prak-
           Zusätzlich wollen wir die Chancen für Abiturienten aus M-V ge-  tikum sind mit Pflichtveranstaltungen an der UMG verbunden.
           genüber Bewerbenden aus anderen Bundesländern auf eine Ein-  Wurde bereits in der Schulzeit ein akkreditiertes ärztliches Ori-
           ladung zum Greifswalder Interviewverfahren angleichen.  entierungsprogramm belegt, kann dies die Abiturnote um wei-
           Wie gut und wie schnell Studierende die Staatsexamina im Ver-  tere 0,1 Stufen verbessern.
           gleich zu anderen Fakultäten absolvieren ist ein Erfolgskriterium.   Die neu definierten Kriterien werden zu einer veränderten Aus-
           Wir wollen jedoch eine weitere Dimension hinzufügen, indem wir   wahl der Kandidaten für das Greifswalder Interviewverfahren
           auch die Zeit nach dem Studium beurteilen:           führen. Gleichzeitig haben wir die Anzahl der über das Interview-
           1)  Wer bleibt nach dem Studium langfristig im Arztberuf - und in   verfahren zu vergebenden Studienplätze nahezu verdoppelt!  Im
             welchem Umfang?                                    Interview können wir dann feststellen, ob die Bewerber zu unse-
           2)  Wer verbleibt in M-V – dem Bundesland, das den Studienplatz   rem Profil passen. Eine wissenschaftliche Evaluation ist bereits
             finanziert hat?                                    angestoßen und notwendig, um die Wirksamkeit unserer Ände-
           Eine Medizininfakultät kann einen Teil der Studienplätze selbst   rungen zu überprüfen.
           vergeben. Hierfür ist die sogenannte AdH-Quote („Auswahlver-             Für die Universitätsmedizin Greifswald
           fahren der Hochschulen“) vorgesehen. Seit Jahrzehnten führen                      Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp


       Seite 324                                                                     ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
   1   2   3   4   5   6   7   8   9