Page 5 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, Oktober-Ausgabe 2025
P. 5

WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG



      Warnzeichen Thrombose mit

      Thrombo zytopenie




      Erkrankungen durch Antikörper gegen Plättchenfaktor 4


      Linda Schönborn, Andreas Greinacher, Thomas Thiele*




      Einleitung                                           Warum lösen Anti-PF4-Antikörper
                                                           Thrombosen aus?
      Das Gerinnungs- und Immunsystem sind eng verzahnt.
      So interagieren Lymphozyten und deren Mediatoren, An-  Der Plättchenfaktor 4 ist ein stark positiv geladenes Molekül,
      tikörper, Thrombozyten sowie Gerinnungsfaktoren mit-  welches mit negativ geladenen Partikeln wie Bakterien, Vi-
      einander. Gerät dieses Zusammenspiel außer Kontrolle,   ren, vektorbasierten Impfstoffen oder Heparin eine Verbin-
      kann  dies  zu  einer  Thromboseneigung  führen .  In  den   dung eingeht. Dies stimuliert bei wenigen Menschen die Pro-
                                                1
      letzten  Jahren  hat  sich  hierfür  der  Begriff  der  Immun-  duktion von Antikörpern gegen PF4. Anti-PF4-Antikörper
      thrombose etabliert. Antikörper, die an das aus Throm-  vernetzen mehrere PF4-Moleküle z. T. unter Beteiligung wei-
      bozyten stammende Chemokin Plättchenfaktor 4 (PF4)   terer Moleküle wie Heparin. Diese Immunkomplexe aktivie-
      binden, spielen bei Immunthrombosen eine besondere   ren  Thrombozyten  stark  über  den  thrombozytären  Fcγ-
      Rolle. Bekannt sind die Heparin-induzierte Thrombozy-  Rezeptor.  Dies  induziert  Thrombin,  führt  zur  Gerinnselbil-
      topenie (HIT) und die Vakzin-induzierte Immunthrombo-  dung und  zum Thrombozytenverbrauch, was  sich in  den
      zytopenie  und  Thrombose  (VITT) .  Es  existieren  aber   klinischen Leitsymptomen der Thrombose mit begleitender
                                    2-4
      weitere Anti-PF4-Erkrankungen, die unabhängig von der   Thrombozytopenie manifestiert.
      Heparingabe oder einer Impfung auftreten. In diesem Ar-
      tikel wird die Systematik der Anti-PF4-assoziierten Er-  Welche Formen von Anti-PF4-Thrombosen
      krankungen erläutert sowie Klinik, Diagnostik und The-  sind bekannt?
      rapie beschrieben.
                                                           Einen Überblick der typischen Charakteristika von Anti-PF4-
                                                           Thrombosen sowie die bis heute bekannten Auslöser sind in
      Wer ist betroffen?                                   Abbildung 1 dargestellt.


      Patienten aller Altersgruppen (einschließlich Neugeborener)   Akute Formen
      können  von  Anti-PF4-Thrombosen  betroffen  sein.  Die  HIT
      tritt nach der Gabe von Heparin, vor allem von unfraktionier-  Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT)
      tem Heparin auf. Die VITT nach Impfung wurde bei zuvor Ge-  Die HIT wurde das erste Mal bereits vor ca. 70 Jahren be-
      sunden aller Altersgruppen beobachtet. Von einer VITT nach   schrieben . Sie wird durch die Gabe von unfraktioniertem
                                                                    6
      viralen Infekten, vor allem ausgelöst durch Adenoviren, sind   Heparin, seltener auch von niedermolekularem Heparin aus-
      insbesondere auch Kinder betroffen. Von chronischen Anti-  gelöst.  Bei der HIT bilden sich Antikörper, die sich gegen
                                                                 7
      PF4-Thrombosen scheinen vor allem Erwachsene zwischen   PF4/Heparin-Komplexe richten.
      25 und 60 Jahren betroffen zu sein.
                                                           Autoimmun-HIT
                                                           Die Autoimmun-HIT wird ebenfalls durch eine Heparin-Gabe
                                                           ausgelöst. Hier entwickeln sich in der Folge aber Anti-PF4-
                                                           Antikörper, die kein Heparin mehr benötigen, um Immun-
      * Institut für Transfusionsmedizin; Universitätsmedizin Greifswald, Sauerbruchstraße
        D-17489 Greifswald                                 komplexe mit PF4 zu bilden. Eine Autoimmun-HIT sollte ver-


      AUSGABE 10/2025 35. JAHRGANG                                                                          Seite 325
   1   2   3   4   5   6   7   8   9   10