Page 19 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, November-Ausgabe 2025
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SCHWERPUNKTTHEMA „SUCHT UND DROGEN“




                                                           Wie hat Ihr Umfeld reagiert, haben Sie Feedback bekommen?
                                                           Ja, meine Familie hat sehr gut darauf reagiert. Aber die kennt
                                                           auch meine ganze Geschichte und weiß, dass ich doch einige
                                                           Jahre damit zu kämpfen hatte. Die freuen sich, dass ich wie-
                                                           der klar bin. Auch von meinem Hausarzt kam positives Feed-
                                                           back. Auf Arbeit habe ich das nicht an die große Glocke
                                                           gehängt. Die Kollegen, die davon wissen, haben positiv re-
                                                           agiert.

                                                           Wie sehen Sie die Zukunft? Haben Sie das Gefühl, dass das Thema
                                                           Sucht hinter Ihnen liegt?
                                                           Also wie gesagt, es ist nichts, was komplett weggeht. Ich habe
                                                           immer mal wieder Gedanken daran. An Dinge, die passiert sind.
                                                           Aber nicht so, dass ich jetzt befürchte rückfällig zu werden. Ich
                                               Foto: Adobe Stock
                                                           bin froh, dass es hinter mir liegt. Ich weiß nicht, wie es in Jahren
      Suchtmittel, ab in jedem Gedanken ist das Suchtmittel mit ein-  in der Zukunft aussieht, aber momentan halte ich mich für sehr
      bezogen. Zum Beispiel:  Wenn es drum geht, einzukaufen. Die   stabil.
      zehn Euro geb ich jetzt nicht aus, die brauche ich noch, weil ich
      sonst morgen nicht über den Tag komme. Es ist allgegenwärtig.   Wie sehen Sie denn als Suchtbetroffener die Legalisierung des
      Auch bei der Zeitplanung. Man plant Zeit für den Konsum ein.  Cannabis?
                                                           Ich bin da zwiegespalten. Weil ich generell Freiheit befürworte
      Wie könnten wir Ärzte jetzt konkret helfen? Haben Sie das Gefühl,   und Selbstbestimmung. Aber gleichzeitig, genau wie beim Al-
      dass ein Hausarzt der richtige Ansprechpartner wäre?   kohol: je leichter es ist an die ganzen Sachen ranzukommen,
      Ich glaube, je mehr desto besser. Lieber sollte man paar mal   um so einfacher ist es, der Sucht zu verfallen. Wenn man einmal
      zu viel gefragt werden, ob Sucht eine Rolle spielt, als zu we-  gelernt hat, mir geht es besser, wenn ich das (Alkohol/Kiffen)
      nig. Aber es braucht ein Vertrauensverhältnis. Einen ge-  mache, dann greift man schnell auf die einfache Lösung zurück.
      schützten Raum. Bei einem Hausarzt ist man mitunter schon   Und gerade beim Kiffen geht es so unglaublich schnell.
      viele Jahre, eine Suchtberatung hat diesen Vertrauensbonus
      noch nicht.                                          Wären denn im Umkehrschluss Verbote auch für Alkohol und
                                                           Cannabis zielführend, um bezüglich der Suchtproblematik vor-
      Wenn ein Suchtproblem erkannt wird, wäre nach Ihrer Meinung   zubeugen.
      das Angebot einer konkreten Maßnahme wie Entzug/ Kur besser   Ich glaube leider nicht, das Verbote zielführend sind. Aber ich
      oder der Hinweis auf Beratungsstellen?               glaube - insbesondere bei Nikotin und Alkohol- sind Werbever-
      Mich hätte wahrscheinlich eher die Beratungsstelle abgeholt,   bote sinnvoll. Wenn Leute damit Geld verdienen wollen, dich
      weil die sich besser mit den weiterführenden Angeboten aus-  süchtig zu machen, da fände ich Verbote sinnvoll. Ich würde mir
      kennen. Einfach zum Kennenlernen, jemanden zu haben, der   wünschen, dass die Gesellschaft im Allgemeinen ein besseres
      einem zuhört, bevor man monatelang auf einen Termin in einer   Suchtverständnis entwickelt.
      Klinik wartet.
                                                           Welche Botschaft könnten wir Sie als Betroffener, wir als Ärzte -
      Sie waren insgesamt fünf Monate in Therapie. Wie ist jetzt Ihr All-  Jemanden in einer Sucht mitgeben?
      tag? Wie empfinden Sie Situationen, in denen Sie früher konsu-  Mit jedem Tag Abstand, mit jedem Schritt wird’s leichter. Aber
      miert haben?                                         trotzdem ist es leider kein Sprint, sondern ein Marathon. Hätte
      Ja, 22 Wochen insgesamt. Ich spür schon immer noch gelegent-  ich gewusst, dass es mich mein Leben lang triezt, hätte ich es
      lich Suchtdruck. Aber ich bin jetzt schon ein Jahr abstinent. Es   anders gemacht.
      wird immer besser, auch wenn es nie weg geht. Für mich ist der
      überwundene Tabakkonsum manchmal problematischer     Herr Schmidt, ich danke Ihnen für diese Einblicke.
      (A.d.R.:  Nikotinkarrenz  seit  5/24).  In  der  Therapie  hatten  wir
      Kompetenztraining, um diese Situationen zu überwinden.                                    Wenke Burghardt


      AUSGABE 11/2025 35. JAHRGANG                                                                          Seite 375
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