Page 6 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, November-Ausgabe 2025
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SCHWERPUNKTTHEMA „SUCHT UND DROGEN“
was die Fähigkeit, sich von zwanghaftem Verlangen zu lösen, Kein Arzt würde auf die Idee kommen, einem Betroffenen mit
damit das Erreichen einer Abstinenz, erschwert. Die neuro- Hypertonie die Antihypertonika wegzunehmen, bevor er zur
plastischen Veränderungen und automatisierten Handlungs- Rehabilitation geht oder ins Auto steigt. Nichtsdestotrotz wer-
muster sind auch nach langer Abstinenz noch reaktivierbar. den Ärzte in den Praxen immer mehr auch mit den Folgen des
Ein wachsendes wissenschaftliches Verständnis dieser Abläu- unkontrollierten BDZ-Gebrauchs konfrontiert. Mir sind aus
fe macht Hoffnung auf neue Behandlungsstrategien in der meinem Alltag noch Diskussionen darüber erinnerlich, dass
Perspektive. Betroffene mit missbräuchlichem oder abhängigem Gebrauch
Entzugstherapie von BDZ gewünscht haben, von vornherein
Es ist bedauerlich, dass eine der wichtigen Säulen in der Be- aber klargestellt haben, sich bei Schlafstörungen jederzeit
handlung alkoholkranker Betroffener (insbesondere für wieder diese Medikamente von ihrem Hausarzt zu holen. Da-
schwierige Fälle) nicht mehr ohne Weiteres zugängig ist – das mit erscheint nach außen die eine oder andere stationäre Be-
Disulfiram (Antabus). Im Jahr 2011 verlor Disulfiram in handlung „sinnfrei“. Haben wir Ärzte dieses Problem im Blick?
Deutschland seine Zulassung, weil der Hersteller aufgrund Nehmen wir wahr, dass Schlafstörungen egal in welcher Aus-
technischer Schwierigkeiten die Produktion einstellte. Eine prägung gefühlt zunehmen, dass Angststörungen evtl. „unter
Nutzen-Risiko-Bewertung von 2011 hätte die Auswirkungen dem Radar“ so kaschiert werden, somit dieser Kreislauf viel-
dieses Verlustes und die eingeschränkte Verfügbarkeit in leicht weiter getriggert wird? Die Hintergründe des Konsums
Deutschland beleuchtet, wobei der Nutzen bei der Behand- bleiben blass. Die beobachtete unspezifische Indikationsstel-
lung von Alkoholabhängigkeit weiterhin besteht. Das Medika- lung bei der zunehmenden Rezeptierung von BDZ hat ebenso
ment kann jedoch weiterhin aus dem Ausland importiert wer- vielfältige Hintergründe. An welchen Schrauben können wir
den und off-label (außerhalb der Zulassung) von Ärzten ver- drehen?
schrieben werden. Wir, die Mitglieder der AG Rauschmittel und Drogenabhängig-
keit, suchen Mitstreiter im Alltag gegen die Stigmatisierung
Wissenschaftliche Bewertung Suchtkranker, für eine motivierende Kommunikation zum
besseren Verständnis von Krankheit und Behandlungsproze-
Eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Kuratoriums der dere auf beiden Seiten. Wer Interesse hat, kann sich per Mail
DHS (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V.) betont die melden an gf@aek-mv.de.
Wirksamkeit von Disulfiram als kostengünstige und effektive
Option zur Rückfallprophylaxe, besonders bei schwer abhän- Dipl.-Med. Sybille Fuhrmann
gigen Patienten. Überdies betont die S3-Leitlinie „Screening, Leiterin der AG „Rauschmittel- und Drogenabhängigkeit“
Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ die der Ärztekammer M-V
Wirksamkeit der Therapie mit Disulfiram. Suchtmediziner be-
klagen eine Verschlechterung der rückfallprophylaktischen
Behandlung von Alkoholabhängigen, seit die Produktion des
Medikaments Disulfiram eingestellt wurde.
Bedeutung: Patienten bekommen schwerer ein Privatrezept
und müssen selbst zahlen! Eine Verordnung von Benzodiaze-
pinen (BDZ) geht einfacher! Uns stehen Anticravingsubstan-
zen wie Naltrexon, Acamprosat, Nalmefen zur Verfügung. An
dieser Stelle sei noch erwähnt, dass diese Medikation wohl
um „Anerkennung ringt“. Aus meinem, jetzt etwas länger zu-
rückliegenden, klinischen Alltag, war in Konzepten der Reha-
bilitationskliniken zur Entwöhnungstherapie zum Teil veran-
kert, die Behandlung lediglich ohne diese Medikation durch-
zuführen. Auch gab es wiederholt negative Bescheide nach
MPU-Terminen mit dem Vermerk, in einem halben Jahr erneut
zum Gespräch zu kommen und die Abstinenzwilligkeit ohne
Medikation zu beweisen. Ich kann nur hoffen und wünschen,
dass inzwischen weitreichender argumentiert wird.
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