Page 10 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, November-Ausgabe 2025
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SCHWERPUNKTTHEMA „SUCHT UND DROGEN“




                                                                              lich. Nachhallpsychosen (sogenannte Flash-
            Infobox 1: Schädlicher Cannabisgebrauch
                                                                              backs, ICD-10: F12.70) treten auch noch Wo-
                                                                              chen nach dem letzten Cannabiskonsum auf.
            Schädlicher Cannabisgebrauch wird diagnostiziert, wenn trotz Gesundheitsschäden
            (psychisch oder somatisch) infolge des Gebrauchs weiter konsumiert wird. In der ICD-  Auslöser sind emotionaler Stress, Erinnerung
            10 (F 12.1) werden diagnostische Kriterien definiert:             an  das  Konsumereignis  oder  definierte
            Es besteht ein Nachweis für die körperlichen, psychischen oder sozialen Schäden des   Schlüsselreize (15).
            Cannabiskonsums.
            Die Art der Schädigung kann klar festgestellt und bezeichnet werden.  Schizophrenie
            Das Gebrauchsmuster besteht seit mindestens einem Monat oder trat wiederholt in   Personen mit einer Schizophrenie (ICD-10:
            den letzten zwölf Monaten auf.
            Auf die Störung treffen die Kriterien einer anderen psychischen oder Verhaltensstö-  F20.x; F23.1) weisen einen bis zu 5-fach hö-
            rung, die durch dieselbe Substanz zum gleichen Zeitpunkt bedingt ist, nicht zu.  heren Cannabiskonsum auf als nichtkonsu-
                                                                              mierende Gleichaltrige. Das Risiko, an einer
                                                                              Schizophrenie zu erkranken, ist bei Canna-
                                                                              biskonsumierenden um das bis zu 6-fache
           Typische Symptome sind Craving, innere Unruhe, Irritabilität,   (bei Jugendlichen 10-fache) erhöht. Vor allem hochfrequen-
           Reizbarkeit, Anspannung, Ein- und Durchschlafstörungen, ei-  ter und -dosierter Cannabiskonsum wird vor dem Hinter-
           genartige Träume, Affektlabilität, Angst, Hyperalgesie, nächt-  grund des Vulnerabilität-Stress-Modells als potenter Stres-
           liches starkes Schwitzen und Appetitminderung (15).  sor bewertet und kann bei vulnerablen Personen eine Psy-
                                                                chose auslösen (15). Der seit Jahren steigende THC-Gehalt in
           Substanzinduzierte psychotische Episoden             Cannabisprodukten  spielt  bei der  Ätiopathogenese  eine
           Das Risiko, irgendeine psychotische Störung zu entwickeln, ist   zentrale Rolle (2, 8).
           für Cannabiskonsumierende bei gelegentlichem Konsum um   Das Ersterkrankungsalter wird um durchschnittlich 2,7 Jahre
           das 1,4- bis 2,0-fache, bei hoher Konsumintensität um das 2,0-   vorverlagert. Die Rückfallquote für Psychosen wird durch
           bis  3,4-fache  erhöht  (2).  Transiente  psychotische  Episoden   Cannabiskonsum um das 2,0-fache erhöht. Die produktiven
           (Intoxikationspsychose: ICD-10: F12.04) dauern nicht länger   Symptome werden verstärkt und die durchschnittliche Ver-
           als 48 Stunden an. Die Symptomatik ist durch Verlust der Ich-  weildauer in stationären Behandlungen ist für konsumieren-
           Kontrolle, Derealisation, Depersonalisation, Halluzinationen,   de Personen mit Schizophrenie erhöht (2).
           Wahn und Verwirrtheit gekennzeichnet.
           Akut sowie nach chronischem und hochdosiertem Cannabis-  Motivationsstörung
           konsum können länger anhaltende psychotische Episoden   Das amotivationale Syndrom (ICD-10: F12.72) ist mit chroni-
           mit  schizophreniformer  Symptomatik  auftreten  (Cannabis-  schem Missbrauch assoziiert sowie durch Konzentrations-
           Psychose; ICD-10: F12.50–12.53). Die Symptomatik entwickelt   und  Aufmerksamkeitsstörungen,  Passivität,  Affektver fla-
           sich kurze Zeit nach dem letzten Konsum, überdauert einige   chung, Antriebsmangel und Lethargie gekennzeichnet. Die
           Tage und bildet sich innerhalb weniger Wochen zurück. Die   pathophysiologischen Grundlagen sind weitgehend ungeklärt
           Abgrenzung der Cannabispsychose zu schizophreniformen   (15). Wichtig ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu
           oder schizophrenen Psychosen ist im Akutstadium nicht mög-  schizophrenen, depressiven und Persönlichkeitsstörungen.

                                                                              Neurokognitive Folgestörungen
            Infobox 2: Cannabisabhängigkeit (28)                              Minderungen von Konzentration, Aufmerk-
                                                                              samkeit, Gedächtnis, Lernen und Reaktions-
            Für die Diagnose der Cannabisabhängigkeit (ICD- 10: F 12.2) sollen mindestens 3 der   zeit treten bei akuten Cannabisintoxikatio-
            insgesamt 6 Kriterien gleichzeitig über mindestens einen Monat durchgängig oder   nen auf (ICD-10: F12.74). Rausch überdauernd
            wiederholt in den letzten 12 Monaten erfüllt werden: starkes Verlangen/Zwang, Can-  (24 h) stellen sich bei gewohnheitsmäßigem
            nabis zu konsumieren (Craving), verminderte Kontrollfähigkeit über Beginn, Beendi-  Konsum negative Effekte auf das Lernvermö-
            gung und Menge des Cannabisgebrauchs, körperliches Entzugssyndrom bei Beendi-  gen, Gedächtnis und abstrakte Denken sowie
            gung oder Reduktion des Konsums, Toleranzentwicklung, fortschreitende Vernach-
            lässigung anderer wichtiger Interessen zugunsten des Cannabisgebrauchs, anhalten-  auf exekutive Leistungen, Aufmerksamkeit,
            der Gebrauch trotz klar schädlicher Folge.                        Merkfähigkeit, Lernen und psychomotori-
                                                                              sche Funktionen ein (16, 17). Bei Konsumbe-


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