Page 29 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, November-Ausgabe 2025
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SCHWERPUNKTTHEMA „SUCHT UND DROGEN“
zepinmissbrauch bei Ärzten zwischen 11 und 16,5 % aus. In schiedliche achtsamkeitbasierte Therapien (z. B. mindfulness-
der Gruppe der Anästhesisten zählen sie neben Alkohol und based relapse prevention). Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl
Nikotin zu den am häufigsten missbrauchten Substanzen: von Selbsthilfegruppen für Angehörige und Betroffene mit al-
Frey und Mitarbeiter berichteten 2015, dass rund 16 % der koholbezogenen Störungen. Zur langfristigen Rückfallprophy-
Substanzmissbrauchsfälle von Anästhesisten Benzodiazepine laxe gibt es Medikamente wie Acamprosat, Naltrexon und
betrafen (Fry, Fry et al. 2015). Midazolam scheint dabei auf- Nalmefen. Die medikamentöse Behandlung sollte immer
grund seiner einfachen intranasalen Verabreichung eines der durch eine Psychotherapie ergänzt werden. Aussagekräftige
am häufigsten missbrauchten Benzodiazepine zu sein. Beson- Studien zur Häufigkeit nicht substanzgebundener Abhängig-
ders Anästhesisten und Intensivmediziner haben oftmals ei- keiten wie Spielsucht, Internetsucht, Essstörungen, Sexsucht
nen nicht kontrollierten beruflichen Zugang zu Substanzen oder Arbeitssucht bei Ärzten fehlen.
mit teilweise hohem Abhängigkeitspotenzial wie Opioiden
oder Propofol. Aus Griffnähe und einfacher Möglichkeit der Zusammenfassung
Selbstverschreibung entwickelt sich dann das Abhängigkeits-
syndrom. Schätzungen besagen, dass vermutlich 1–2 % aller Ärzte sind trotz ihres Wissensvorsprungs gegenüber der Be-
Anästhesisten eine problematische Medikamenteneinnahme völkerung über die Risiken und Behandlungsmöglichkeiten
aufweisen oder Drogen nehmen (Maier, Iwunna et al. 2010).Es von Substanzkonsumstörungen nicht vor diesen gefeit. Sie
verstreichen im Mittel bis zu acht Jahre, bis eine Therapie bei sind aufgrund ihrer berufsbedingten psychischen und physi-
suchtkranken Ärzten beginnt. Je länger die Diagnose nicht ge- schen Belastungen einem erhöhten Risiko für burn-out, De-
stellt wird, desto schlechter ist die Prognose. Unbehandelt pressionen und Abhängigkeitserkrankungen ausgesetzt, hier-
versterben zwischen 30–40 % der Betroffenen bei Propofo- bei vor allem dem kombinierten Missbrauch und der Abhän-
labhängigkeit (Maier, Iwunna et al. 2017). gigkeit von Alkohol und Medikamenten. Für den Medikamen-
tenmissbrauch ist der relativ unkomplizierte Zugang zu psy-
Therapie und Prognose choaktiv wirksamen Substanzen wie Hypnotika, Analgetika
und Benzodiazepinen ein Hochrisikofaktor. Dabei ist die Pro-
Prinzipiell ist die Prognose und sind die Therapiemöglichkei- gnose bei Behandlung gut. Etwa drei Viertel der erstmalig Be-
ten für Abhängigkeitserkrankungen bei Ärzten günstig (Hirsch troffenen kann unter Erhalt der Approbation und des Arbeits-
JA, Mandel S et al. 2023), der Großteil der Ärztekammern bietet platzes geholfen werden.
bereits nach anonymer Beratung zeitlich und inhaltlich struk-
turierte Programme an, in denen nach Entgiftung Schritte zur Prof. Dr. Johannes Buchmann
Reintegration und beruflicher Festigung etabliert sind, so auch
die Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern (Interventions- Literatur:
programm Sucht). Eine Abstinenz und die Entwicklung neuer
und gesünderer Verhaltensweisen ist nur durch eine intensive
psychotherapeutische Behandlung erreichbar, die neben der
Bearbeitung von Scham- und Schuldgefühlen ein aktives Abs-
tinenztraining beinhaltet. Ziel ist die Entwicklung eines Absti-
nenzgedächtnisses und letztendlich natürlich der Erhalt der
Approbation. Die Wirkung gängiger Psychotherapieverfahren
ist in zahlreichen Studien nachgewiesen. Besonders vorteilhaft Gemeinsam mit der Apotheker-, Zahnärzte- und Tierärztekammer
zeigen sich die motivationalen Interventionsformen wie das hat die Ärztekammer M-V 2013 das „Interventionsprogramm für
„motivational interviewing“ (Rath 2023), die kognitive Verhal- suchtkranke Ärztinnen und Ärzte“ (IVP) ins Leben gerufen. Es bietet
Betroffenen ein Behandlungsangebot und zugleich eine Chance,
tenstherapie und andere verhaltenstherapeutische Interventi- drohende approbationsrechtliche Maßnahmen bis hin zum Berufs-
onen wie das Kontingenzmanagement. Gute Effekte zeigen verbot abzuwenden.
sich auch durch die Paartherapie, neurokognitives Training
und die Nutzung von digitalen Gesundheitsanwendungen wie Weitere Informationen dazu finden Sie auf un-
serer Homepage unter www.aek-mv.de / Ärzte /
z. B. vorvida (https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00868). Interventionsprogramm oder direkt über den
Letztendlich zu nennen sind weitere Interventionsformen wie QR-Code.
die Cue-exposed-based-extinction-training (CET) sowie unter-
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