Page 33 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, November-Ausgabe 2025
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SCHWERPUNKTTHEMA „SUCHT UND DROGEN“



      Berufsordnung, Verordnungsrichtlinien und            ge Überprüfung des therapeutischen Nutzens und der Ne-
      ärztliche Verantwortung                              benwirkungen durch psychiatrisch suchterfahrene Fachärz-
                                                           te verpflichtend. Auch eine Verordnung durch mehrere Ärzte
      Die ärztliche Berufsordnung verpflichtet zu einer gewissen-  ist zu verhindern, um Missbrauch vorzubeugen. Apotheker
      haften und verantwortungsvollen Berufsausübung im Sinne   werden ebenso in die Pflicht genommen: Erkennen sie bei
      der Paragrafen 11, 2 der Berufsordnung für die Ärztinnen   Verordnungen Unklarheiten oder mögliche Fehler, zum Bei-
      und Ärzte in Mecklenburg-Vorpommern (i.F. BO M-V). Insbe-  spiel Mehrfachverordnungen unbekannter Herkunft, dürfen
      sondere ist nach Paragraf 7 Abs. 8  BO M-V der missbräuchli-  sie die Abgabe nach Paragraf 17(5) der Apothekenbetriebs-
      chen Verwendung von Verschreibungen. Die Verordnung von   ordnung bis zur Klärung verweigern. Eine enge Kommunika-
      Benzodiazepinen muss daher eine kritisch geprüfte Indikati-  tion zwischen Ärzten und Apothekern ist daher für eine si-
      on, klare therapeutische Ziele, eine korrekte und möglichst   chere und verantwortungsbewusste Versorgung wichtig.
      niedrige Dosierung sowie eine zeitliche Begrenzung aufwei-  Ein pauschaler Ersatz von Benzodiazepinen durch Z-Subs-
      sen. Laut Arzneimittelrichtlinie Anlage III (Nr. 32 und 45) ist   tanzen wie Zolpidem oder Zopiclon ist aus mehreren Grün-
      die Anwendungsdauer grundsätzlich auf vier Wochen be-  den nicht zielführend. Zwar wurden Z-Substanzen ursprüng-
      schränkt; Ausnahmen sind nur bei medizinisch begründeten   lich als sicherere Alternativen bei Schlafstörungen einge-
      Einzelfällen und nach Dokumentation zulässig. Abhängige   führt, hinsichtlich Wirkmechanismus, Risiko und Nebenwir-
      Patienten fordern aber oftmals mit Nachdruck weitere Re-  kungen ähneln sie den Benzodiazepinen aber weitgehend.
      zeptierungen.                                        Beide  Wirkstoffgruppen  binden  an  den  GABA-A-Rezeptor
      Die Patienten sollten immer wieder umfassend über Wir-  und entfalten ihre sedierende Wirkung über ähnliche neuro-
      kung, Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotenziale aufge-  nale Mechanismen, wodurch auch die Risiken – wie Abhän-
      klärt werden und sind aktiv in die Therapieentscheidungen   gigkeitsentwicklung, Toleranzbildung, Rebound-Effekte und
      einzubeziehen.  Eine  Niedrigdosisabhängigkeit  ist  definiert   kognitive Einschränkungen – vergleichbar sind. Besonders
      als eine Langzeitverschreibung einer Dosis bis 20 mg Diaze-  bei älteren Patienten sind Z-Substanzen mit erhöhter Sturz-
      pamäquivalenzdosis (s. Tabelle ). Die Förderung alternativer   gefahr und Tagesmüdigkeit verbunden. Ein weiterer kriti-
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      Bewältigungsstrategien ist hierbei essenziell, um eine dau-  scher Punkt ist die verbreitete Annahme, Z-Substanzen seien
      erhafte  Verabreichung  zu  vermeiden.  Die  ärztliche  Umset-  harmloser, was zu einer großzügigeren Verordnungspraxis
      zung  ist  im  Einzelnen  und  bei  voller  Praxis  oftmals  sehr   führen kann. Dies birgt die Gefahr einer unkritischen Lang-
      schwer umsetzbar. Gelegentlich versuchen Patienten sogar   zeitanwendung, obwohl auch Z-Substanzen nur für eine
      berufsrechtlich gegen die Verweigerung einer weiteren Re-  kurzfristige Anwendung bei Insomnie zugelassen sind. Im
      zeptierung vorzugehen, wie wir im Vorstand der ÄKMV aus   Gegensatz zu Benzodiazepinen besitzen sie zudem kein brei-
      einigen Fällen wissen.                               teres Indikationsspektrum, etwa zur Behandlung von Angst-
      Die Verordnung als Privatrezept stellt berufsrechtlich keine   störungen oder epileptischen Anfällen, weshalb ein direkter
      Lösung  dieser  Konflikte  dar.  Auch  hier  bleibt  die  ärztliche   Ersatz aus therapeutischer Sicht oft nicht möglich oder sinn-
      Verantwortung für eine sachgerechte Indikationsstellung   voll ist.
      und verantwortungsvolle Verschreibung bestehen. Medizi-  Leider sind gerade sowohl Langfristverordnungen von Ben-
      nisch verbessert sich die Versorgung durch eine Privatre-  zodiazepinen und Z-Substanzen als auch deren Verweige-
      zeptverordnung nicht, da die Qualität der Behandlung von   rung immer wieder Grund für (nicht ausnahmslos unbegrün-
      der richtigen Indikation und Begleitung abhängt und nicht   dete) Patientenbeschwerden, die der Vorstand der Ärzte-
      vom Abrechnungssystem, allerdings kann ein drohender   kammer beurteilen muss. Wir möchten unsere Kolleginnen
      Arzneimittelregress so vermieden werden.             und Kollegen mit diesem Artikel für diese Thematik sensibi-
      Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte besteht   lisieren. Besonders bei Langzeitrezeptierungen von suchter-
      jetzt die Chance einen Missbrauch durch Patienten besser zu   zeugenden Substanzen ist die Einbeziehung von psychiat-
      erkennen.                                            risch und in der Suchtbehandlung erfahrenen Kolleginnen
      Bei langzeitiger Anwendung, beispielsweise im Rahmen   und Kollegen, sowohl inhaltlich als auch aus berufsrechtli-
      schwerer psychiatrischer Erkrankungen, ist eine regelmäßi-  cher Sicht sehr zu empfehlen.



      1   Der Benzodiazepinentzug und dessen Behandlung, R. Holzbach, Suchttherapie 2006; 7(3): 97-106 DOI: 10.1055/s-2006-927015


      AUSGABE 11/2025 35. JAHRGANG                                                                          Seite 389
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